Glaubt man den Schätzungen von Politik und Bauwirtschaft, so müssten in Deutschland jährlich 350.000 bis 400.000 Wohnungen neu entstehen. 2018 wurden knapp 347.000 Wohnungen genehmigt. Doch genehmigt ist noch nicht gebaut. Dass auch der demografische Wandel Auswirkungen auf den Bausektor hat, wird noch immer nahezu ignoriert.
Im Vordergrund der Genehmigungen steht der Neubau, insbesondere von Einfamilienhäusern. Dabei steht eine Welle der alters- bzw. alternsbedingten Renovierung an. Denn nur knapp drei Prozent der Wohnungen in Deutschland sind barrierefrei und altersgerecht. Schätzungen zufolge fehlen bis 2025 jährlich rund 100.000 alternsgerechte Wohnungen. 21 Millionen Menschen über 65 Jahre wohnen in Deutschland. Weit über 90 Prozent der Menschen wünschen, das Altern in den eigenen vier Wänden zu erleben. Doch da mehr als jeder zweite über 90 Jahre schon heute pflegebedürftig ist, bleibt die Frage, wie realistisch dieser Wunsch ist?
Die Bauindustrie und die mit ihr zusammenarbeitenden Gewerke klagen bereits heute über einen enormen Fachkräftebedarf. Zudem sind deren Auftragsbücher schon jetzt voll, so dass zusätzliche Leistungen gar nicht mehr erbracht werden können. Und wer genau hinschaut, der wird feststellen, dass das Durchschnittsalter am Hochbau zurzeit bei 43 Jahren liegt und die Bauindustrie 2016 bereits 42 Prozent ihrer Ausbildungsplätze nicht besetzen konnte. Der Traumberuf eines jungen Mannes ist es nicht mehr, Maurer zu werden. Das gilt natürlich auch für Maler, Elektriker, Fliesenleger … Fazit: Wer baut künftig die Wohnungen, die die unterschiedlichen Generationen brauchen?
Und dann stellt sich auch die weitere Frage, wer in den kommunalen Verwaltungen die Bauanträge prüft, genehmigt und die korrekte Bauausführung überprüft. Denn auch die (Bau-) Verwaltungen klagen über einen enormen Fachkräftemangel.
Bauen und Wohnen wird nicht nur deutlich teurer, sondern für viele Menschen in den Ballungsräumen, die man zum Bauen braucht, immer unbezahlbarer. Wenn der Gas- und Wasserinstallateur von seinem Tariflohn in der Stadt nicht mehr wohnen und leben kann, dann zieht er fort. Denn Arbeit findet er überall. Nur was heißt das für den Wohnungsneu- und -umbau?
Die Lösung der Wohnungsfrage auf dem Hintergrund der Demografie verlangt nach neuen Ansätzen und Ideen.
Ein Blick auf die Gewinner bzw. Kandidaten für den Demografie Exzellenz Award 2018 belegt, dass dieses Thema bereits angekommen ist. Der Demografiebeauftragte des Landkreises Gießen stellte zum Beispiel den „Aufbau eines Demografiemonitorings als Bedarfsermittlungsinstrument sowie für den Aufbau einer interkommunalen Gesellschaft als Ort für die Schaffung von Wohnungsbau- und Strukturförderungskonzepten“ vor. Die wesentliche Leistung hier war, die kommunalen Parlamente zu überzeugen, dass diese Herausforderung einer gemeinsamen interkommunalen Vorgehensweise bedarf. Dies gelang u. a. durch eine Wohnraumversorgungsanalyse.
Das Studentenwerk Schleswig-Holstein überzeugte mit seinem Projekt „Wohnen für Hilfe – Wohnpartnerschaften in Deutschland“ die Jury. Dieses Projekt erhielt den ‚Demografie-Exzellenz-Award 2018‘ in der Kategorie „fremd & heimisch“. Die Idee ist, dass es auf der einen Seite Menschen gibt, die dringend (bezahlbaren) Wohnraum benötigen, zum Beispiel Studierende, Auszubildende, Geflüchtete, und es auf der anderen Seite meist ältere, alleinstehende Menschen gibt, die Hilfe brauchen, um in der vertrauten Umgebung wohnen bleiben zu können und die über den benötigen Wohnraum längst verfügen. Es musste nicht neu gebaut werden. Und: Miete wird gezahlt in Form von Hilfen im Alltag. Als grobe Faustregel gilt dabei: „Pro qm bezogenen Wohnraum wird eine Stunde Hilfe im Monat geleistet.“ Pflegeleistungen bleiben ausgeschlossen.
Wohnen für Hilfe führt hier Menschen mit unterschiedlichen Bedürfnissen aus verschiedenen Generationen und Kulturen zusammen. Es fördert Solidarität, Integration, Teilhabe und Generationendialog. Der katastrophale Wohnungsmarkt war Auslöser für die Umsetzung der Idee, die belegt, dass es immer Lösungen geben kann, wer zu Veränderungen bereit ist, Veränderungen, die unser Steuerrecht, Versicherungsrecht, Aufenthaltsrecht etc. nicht vorsehen. Auch dieser exzellente Projektvorschlag überzeugt durch eine gute Idee, ein hartnäckiges Dranbleiben und das geduldige Beharrungsvermögen der beteiligten Akteure.
Von diesen Projekten und ihren Erfahrungen, die die Auslobung des Preises ‚Demografie-Exzellenz-Award‘ 2018 wieder einmal zusammentrug, könnten viele lernen, wenn sie akzeptieren, dass das Wohnungsproblem der Zukunft in Deutschland nicht durch schlichten Neubau allein gelöst werden kann. Auch hier ist die Zukunft nicht mehr die Verlängerung der Vergangenheit. Das wird auch die Verleihung des ‚Demografie-Exzellenz-Award 2019‘ am 2. Oktober 2019 in Stuttgart wieder eindrucksvoll unter Beweis stellen.
Verantwortlich: Dr. Winfried Kösters, Tel.: 0049227192858